Verkehrssicherungspflicht auf Betriebsgelände: Für das sichere Überqueren von alten Schienenanlagen sind Radler selbst verantwortlich

Verkehrssicherungspflichten gibt es viele. Doch sie haben auch ihre Grenzen.

Eine Frau befuhr mit ihrem Fahrrad das denkmalgeschützte Gelände der ehemaligen Zeche Zollverein. Auf einem der Fuß- und Radwege verliefen auch alte Bahnschienen. Beim Überqueren dieses Wegs geriet die Frau mit dem Vorderreifen ihres Rades in eine Spalte neben einer der Schienen und stürzte. Sie fiel dabei auf den Kopf und zog sich ein schweres Schädelhirntrauma zu. Dafür verlangte sie 15.000 EUR Schmerzensgeld sowie Schadensersatz. Das Geld bekam sie aber nicht: Das Gericht urteilte nämlich, dass ein Radfahrer beim Überqueren solcher Schienen auf einem ehemaligen Betriebsgelände für einen Unfall selbst verantwortlich ist – er muss sein Fahrverhalten entsprechend anpassen. Eine schadensersatzpflichtige Verletzung der Verkehrssicherungspflicht lag daher hier nicht vor.

Hinweis: Wenn Schienen auf der Fahrbahn oder einem Radweg eingelassen sind, sollten Radfahrer besonders vorsichtig fahren.

Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2016 – 6 U 35/16
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Unzulässige Geschäftsbedingungen: Banken dürfen kein pauschales Mindestentgelt für geduldete Überziehungen verlangen

Wieder einmal haben die Gerichte die Geschäftsbedingungen einer Bank unter die Lupe genommen und verworfen.

Überzieht ein Verbraucher sein Girokonto über das Dispositionslimit hinaus, werden bei manchen Banken Strafzahlungen fällig. Im zugrundeliegenden Fall stand in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank Folgendes: „Die Höhe des Sollzinssatzes für geduldete Überziehungen, der ab dem Zeitpunkt der Überziehung anfällt, beträgt 16,50 % p.a. (…) Die Kosten für geduldete Überziehungen, die ab dem Zeitpunkt der Überziehung anfallen, betragen 6,90 EUR (…).“ Gegen diese Klausel klagte ein Verbraucherschutzverein – und bekam Recht! Denn die Klauseln weichen von dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab, wenn sie den Bearbeitungsaufwand auf die Bankkunden abwälzen. Außerdem führten sie zu einer unverhältnismäßig hohen Belastung des Kontoinhabers. Bei einer Überziehung von 10 EUR für einen Tag und dem hierfür in Rechnung zu stellenden Betrag von 6,90 EUR würde hier folglich ein Zinssatz von 25,185 % anfallen.

Hinweis: Prüfen Sie die von Ihrem Kreditinstitut verwendeten Klauseln. Vom Verbraucher darf kein pauschales Mindestentgelt für geduldete Überziehungen verlangt werden.

Quelle: BGH, Urt. v. 25.10.2016 – XI ZR 9/15
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Rente mit 63: Arbeitslosigkeit zählt nicht zur nötigen Versicherungszeit von 45 Jahren

Die Rente mit 63 ist verlockend. Doch aufgepasst! Wenn zuvor Arbeitslosengeld bezogen wurde, kann es sein, dass die für die Rente mit 63 geforderten 45 Versicherungsjahre noch nicht vorliegen.

Ein älterer Vertriebsmitarbeiter verlor durch eine betriebsbedingte Kündigung zum 31.12.2012 seinen Arbeitsplatz. In der Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2014 bezog er 24 Monate das Arbeitslosengeld I. Dann wollte er die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren für besonders langjährig Versicherte erhalten. Der zuständige Rentenversicherungsträger lehnte den Antrag allerdings ab, da nur 525 statt der erforderlichen 540 Monate für die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt waren. Denn der 24-monatige Arbeitslosengeldbezug konnte nicht auf diese Wartezeit angerechnet werden.

Dagegen klagte der angehende Rentner – jedoch erfolglos. Eine abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren setzt 45 Versicherungsjahre voraus. Die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn zählen dabei nicht als Versicherungsjahre. Etwas anderes gilt nur, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Insolvenz oder Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers beendet wurde.

Hinweis: Dieses Urteil sollte unbedingt vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder dem Akzeptieren einer Kündigung beachtet werden. Erreicht der Arbeitnehmer seine Pflichtversicherungsmonate nicht, bekommt er auch noch keine Rente.

Quelle: SG Gießen, Urt. v. 14.06.2016 – S 17 R 391/15
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Fahrertür mit Lackschaden: Bis zur Mängelbeseitigung darf ein Käufer Warenabnahme und Bezahlung verweigern

Auch bei geringfügigen Mängeln kann ein Käufer die Zahlung des gesamten Kaufpreises verweigern.

Als sein neues Fahrzeug angeliefert wurde, war ein Käufer nicht sonderlich glücklich. Der Wagen hatte nämlich einen Lackschaden an der Fahrertür. Daraufhin erklärte er, dass er das Fahrzeug zurückweise und den Kaufpreis nicht bezahlen werde. Der Verkäufer war dagegen der Auffassung, es handele sich um einen Bagatellschaden, und verlangte die Überweisung des vollständigen Kaufpreises. Schließlich holte der Verkäufer das Fahrzeug jedoch ab, ließ den Lackschaden beheben und lieferte das Fahrzeug dann erneut aus. Der Käufer zahlte daraufhin den gesamten Kaufpreis.

Der Verkäufer verlangte nun aber den Ersatz der Transportkosten für die Abholung, die Wiederanlieferung des Fahrzeugs sowie Standgeld und Verzugszinsen – insgesamt etwas mehr als 1.000 EUR. Das Geld erhielt er allerdings nicht, da diese Kosten zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Kaufvertrags erforderlich und deshalb vom Verkäufer selbst zu tragen waren.

Hinweis: Ein Käufer kann also auch bei geringfügigen Mängeln die Beseitigung der Mängel verlangen und bis dahin die Zahlung des gesamten Kaufpreises sowie die Abnahme der Sache verweigern.

Quelle: BGH, Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 211/15
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Arbeitslosengeld trotz Arbeitsverhältnis: Die faktische Beschäftigungslosigkeit kann auch ohne förmliche Kündigung ausreichen

Obwohl die Arbeitnehmerin dieses Falls einen Arbeitsvertrag hatte, erhielt sie Arbeitslosengeld.

Eine in der Justiz beschäftigte Frau wurde so sehr gemobbt, dass sie sich nach einer längeren Krankheitsphase weigerte, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Der Dienstherr stellte sie deshalb von der Arbeitsleistung ohne Fortzahlung des Gehalts frei. Die Frau ging daraufhin zur Bundesagentur für Arbeit und beantragte Arbeitslosengeld, das ihr mit der Begründung verweigert wurde, dass sie noch in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehe. Da sie aber faktisch arbeitslos war, klagte sie gegen die Entscheidung der Bundesagentur. Und tatsächlich stand ihr das Arbeitslosengeld zu. Denn eine faktische Beschäftigungslosigkeit reichte aus. Sie war auf ihrem Arbeitsplatz nicht mehr erschienen und stand für die Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Eine förmliche Kündigung war hier daher nicht erforderlich.

Hinweis: Auch Arbeitnehmer in ungekündigten Arbeitsverhältnissen können also einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben, wenn sie faktisch beschäftigungslos sind. Um die Verhängung einer Sperrfrist in solchen Fällen kommen Arbeitnehmer aber sicherlich nur herum, wenn sie einen wichtigen Grund für ihre Beschäftigungslosigkeit aufweisen können.

Quelle: SG Dortmund, Urt. v. 10.10.2016 – S 31 AL 84/16
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Wie im Wohnraummietrecht: Gewerbevermieter darf Schönheitsreparaturen nicht formularmäßig auf Mieter abwälzen

Als ob das Mietrecht über Wohnräume nicht schon kompliziert genug wäre, wird die komplexe Rechtsprechung dazu immer weiter auf das Gewerberaummietrecht ausgedehnt.

In einem Gewerbemietvertrag hatte sich ein Mieter verpflichtet, die laufenden Schönheitsreparaturen auf seine Kosten fachgerecht durchzuführen. Zwischenzeitlich wechselte der Vermieter. Bei Beendigung des Mietvertrags forderte dieser neue Vermieter den Mieter zur Durchführung der Schönheitsreparaturen auf. Der weigerte sich allerdings, weil er die Räume in einem unrenovierten Zustand übernommen hatte. Daraufhin klagte der Vermieter auf Schadensersatz.

Das Oberlandesgericht Celle erließ einen Hinweisbeschluss und erklärte, dass der Vermieter mit seiner Klage keine Erfolgsaussichten hat. Bei unrenovierten Gewerberäumen darf der Vermieter seinen Mieter nicht durch eine Klausel im Mietvertrag zur Durchführung von Schönheitsreparaturen verpflichten.

Hinweis: Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur formularmäßigen Abwälzung von Schönheitsreparaturen auf den Mieter gilt also auch für Gewerbemietverträge.

Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 13.07.2016 – 2 U 45/16
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Unterbrochene Eigentümerversammlung: Zwischenzeitliche Beratung mit dem Rechtsanwalt ist nur in Ausnahmefällen gestattet

Darf eine Wohnungseigentümerversammlung unterbrochen werden, damit einer der Eigentümer sich mit seinem Rechtsanwalt beraten kann? Ganz beiläufig wird in diesem Urteil eine sehr praxisrelevante Frage beantwortet.

Auf einer Wohnungseigentümerversammlung stritten sich die Parteien um die Bestellung einer Verwalterin. Mehrere Mitglieder baten um eine Unterbrechung der Versammlung, da sie sich mit ihrem Rechtsanwalt, der vor der Tür wartete, beraten wollten. Der Versammlungsleiter unterbrach daraufhin die Versammlung, und die Eigentümer, die nicht von dem Rechtsanwalt vertreten wurden, mussten den Saal verlassen. Nach der Unterbrechung wurde die Versammlung fortgesetzt und eine Verwalterin eingesetzt. Die Eigentümer, die den Saal während der Unterbrechung verlassen mussten, klagten nun gegen diesen Beschluss.

Der Beschluss war laut Bundesgerichtshof jedoch ordnungsgemäß gefasst worden. Die Besprechung mit dem Rechtsanwalt war kein Teil der Eigentümerversammlung. Allerdings hätte der Versammlungsleiter die Versammlung nicht unterbrechen dürfen. Nur wenn ganz besondere Umstände vorliegen – etwa wenn der Beratungsbedarf erst aufgrund der in der Eigentümerversammlung geführten Diskussion entsteht -, kann eine Unterbrechung zum Zweck eines Mandantengesprächs in Betracht kommen. Die klagenden Eigentümer hatten allerdings vergessen, diesen Fehler innerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist anzugreifen. Und so musste das Gericht erst gar nicht über diese Frage entscheiden.

Hinweis: Eine Wohnungseigentümerversammlung muss also grundsätzlich für ein Gespräch eines Wohnungseigentümers mit seinem Rechtsanwalt nicht unterbrochen werden. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Beratungsbedarf erst aufgrund der in der Versammlung geführten Diskussion entsteht.

Quelle: BGH, Urt. v. 08.07.2016 – V ZR 261/15
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Stromverbrauchswerte der Heizung: Die Heizkosten- und nicht die Betriebskostenverordnung bestimmt den Umlagemaßstab

Mit diesem Urteil bürdet der Bundesgerichtshof (BGH) den Verwaltern eine erhebliche Mehrarbeit auf.

In einer Wohnungseigentümergemeinschaft wurde der für die zentrale Heizungsanlage erforderliche Betriebsstrom über den allgemeinen Stromzähler erfasst. Ein Zwischenzähler war nicht eingebaut. Damit wurde der Betriebsstrom auch nicht in der Heizkostenabrechnung, sondern in der Betriebskostenabrechnung unter der Position „Allgemeinstrom“ berücksichtigt und nach Miteigentumsanteilen verteilt. Das passte einem der Eigentümer nicht. Er beantragte, die Heizkostenabrechnung für ungültig zu erklären. Der BGH hat ihn darin bestätigt: Nach Ansicht der Richter sind die Kosten des Betriebsstroms einer zentralen Heizungsanlage nach der Maßgabe der Heizkostenverordnung – und nicht der Betriebskostenverordnung – zu verteilen.

Hinweis: Im Zweifelsfall sind die Kosten zu schätzen. Das kann entweder unter Zugrundelegung eines Bruchteils der Brennstoffkosten geschehen oder mit einer Berechnung, die sich an den Stromverbrauchswerten der angeschlossenen Geräte und der Heizetagen orientiert.

Quelle: BGH, Urt. v. 03.06.2016 – V ZR 166/15
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung: Einzelner Wohnungseigentümer darf die Aufstellung einer Hausordnung verlangen

In einer Wohnungseigentümergemeinschaft muss eine Hausordnung aufgestellt werden. Das gilt spätestens dann, sobald einer der Eigentümer diese einfordert.

In einer Wohnungseigentümergemeinschaft war keine Hausordnung beschlossen worden. Als einer der Wohnungseigentümer einen solchen Beschluss beantragte, lehnte die Wohnungseigentümerversammlung das ab und verwies auf die gesetzlichen Regelungen. Das war allerdings so nicht korrekt, denn der Verweis auf die gesetzlich bereits geltenden Regelungen widerspricht einer ordnungsgemäßen Verwaltung. Es fehlen beispielsweise Regelungen über Ruhezeiten oder Tierhaltung. Das Gericht sagte deutlich, dass jeder Wohnungseigentümer eine ordnungsgemäße Verwaltung verlangen kann. Und aus dem Wohnungseigentumsgesetz folgt, dass die Aufstellung einer Hausordnung eine Maßnahme ist, die jeder Eigentümer verlangen kann.

Hinweis: Jeder Eigentümer kann in einer Wohnungseigentumsanlage also die Aufstellung einer Hausordnung verlangen.

Quelle: AG Charlottenburg, Urt. v. 16.09.2016 – 73 C 33/16
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(aus: Ausgabe 12/2016)

Grob pöbelnder Mitmieter: Räumungsklage gegen 97-jährige an Demenz erkrankte Mieterin vorerst abgewendet

Mieter müssen sich das Verhalten von Mitmietern zurechnen lassen. Begeht ein Mitmieter eine Pflichtverletzung, muss u.U. auch der andere Mieter dafür geradestehen – das gilt zumindest grundsätzlich, wenngleich nicht in jedem Fall.

Eine 97-jährige Mieterin war an Demenz erkrankt und wohnte bereits seit 1955 in ihrer Wohnung. Im selben Haus bewohnte deren Betreuer, der sie ganztägig pflegte, eine weitere, durch die Frau angemietete Wohnung. Dieser Betreuer beleidigte in mehreren Schreiben grob die Hausverwaltung, woraufhin die Eigentümerin die Kündigung beider durch die Frau angemieteten Wohnungen aussprach. Als die an Demenz erkrankte Frau nicht auszog, erhob die Eigentümerin eine Räumungsklage. Der Bundesgerichtshof urteilte nun, dass Gerichte schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters auch bei der fristlosen Kündigung berücksichtigen müssen. Es ist stets eine Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Jetzt muss die Vorinstanz nochmals prüfen, ob die alte Dame auf die Betreuung durch den Mitmieter in ihrer bisherigen häuslichen Umgebung angewiesen ist und ob bei einem Wechsel der Betreuungsperson oder einem Umzug schwerwiegende Gesundheitsschäden zu befürchten sind.

Hinweis: Mieter können in solchen Fällen einen Vollstreckungsschutzantrag stellen. Dieser sollte ausführlich begründet sein und sich mit der persönlichen Härte, die ein Umzug bedeuten würde, auseinandersetzen.

Quelle: BGH, Urt. v. 09.11.2016 – VIII ZR 73/16
Zum Thema: Arbeitsrecht
(aus: Ausgabe 12/2016)